
Die Essenz

Die meisten Nasen sind abgestumpft gegen den allgegenwärtigen Gestank, der Anfang des 18. Jahrhunderts durch die Straßen der Städte wabert. Bei diesem einzigartigen Menschen ist dies jedoch nicht der Fall! Er kann die tausendfachen Schattierungen der Gerüche haarscharf unterscheiden, die ihn wie ein dichtes Netz umspannen. Mehr noch: sie sind seine Welt, seine Existenz. Er ist von ihnen besessen. Unfähig dies zu kommunizieren oder zu seinen Mitmenschen in Beziehung zu treten begibt er sich auf die einsame Suche nach dem perfekten Duft, nach der Essenz des menschlichen Seins – und trifft dabei auf erschreckende Abgründe.
Wir haben im Probenprozess immer wieder versucht, die Welt aus der Perspektive unserer Hauptfigur wahrzunehmen und haben dabei selbst erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man Erfahrungen schwer benennen, flüchtige Sinneseindrücke nicht festhalten, Gefühle kaum ausdrücken kann, während man gleichzeitig voll und ganz nur in dieser Dimension lebt, atmet und kommuniziert. Wir wollten so der Einsamkeit und dem Frust des Protagonisten nachspüren. Unsere Motivation war dabei weniger, seine Motive nachzuvollziehen oder seine Beweggründe zu verstehen, aus denen heraus er seine Gräueltaten begeht. Unsere Vermutung war nämlich, dass er diese selbst wohl kaum benennen könnte. Viel interessanter erschien es uns, seine Wahrnehmung der Welt nachempfinden zu können und uns die Frage zu stellen, wie oft und in welcher Weise nichtkognitive und unbewusste Faktoren Auslöser für Handlungen und das menschliche Miteinander sein können. Kurz gesagt: wie die flüchtige Welt der Sinneseindrücke unsere Geschicke lenkt.
Herausgekommen ist eine Produktion, die neben klassischen Theaterszenen klangliche, haptische und geruchliche Bilder schafft. Wir möchten gerne herausfinden, ob man im Theater eine Geschichte auch sinnlich erleben und fühlen kann, und dabei die Kognition hin und wieder zu Hilfe nimmt statt, wie sonst üblich, umgekehrt.